Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an eine gute Geschichte denken? An eine zu Herzen gehende Romanze vielleicht oder auch an eine epische Schlacht. Vielleicht dreht sie sich aber auch um die Suche nach Selbstverwirklichung oder das Streben nach Wissen. All das sind universelle Menschheitsthemen. Wie wir sie wahrnehmen und was wir damit verknüpfen, kann jedoch von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein. Die Reise einer Figur hält das Publikum bei der Stange. Aber wie nachempfindbar Figuren sind – wie gut wir uns also mit ihnen identifizieren können – entscheidet darüber, wie sehr uns eine Geschichte fesselt, wie sehr sie in uns nachhallt und uns beschäftigt.
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Angenommen, Sie arbeiten an einem Fantasy-Game, das in einer völlig neuen, unbekannten Welt spielt. Sie haben Optik und Grafik perfektioniert, eine umfangreiche, lebendige Welt erschaffen und einen emotionalen Soundtrack komponiert. Kurz: Ihr Spiel hat eigentlich alles, um es zu einem einmaligen Erlebnis zu machen. Ihre Spieler lieben es auch, den von Ihnen geschaffenen Kosmos zu erkunden. Doch dann zerplatzt die Illusion an einer zentralen Szene mit Brautjungfern. Denn was in Teilen der westlichen Welt als völlig harmlos angesehen oder auf einer Hochzeit vielleicht sogar erwartet wird, ist noch lange nicht allen Menschen ein Begriff.
„Ich erlebe es ziemlich häufig, dass Autoren nie im Ausland gewesen sind, dass sie keine Fremdsprache sprechen und nie mit anderen Kulturen in Berührung gekommen sind, geschweige denn in ihnen gelebt haben. Sie sehen die Welt entsprechend von einem sehr unflexiblen Standpunkt aus und kommen nicht mal auf den Gedanken, dass das, worüber sie schreiben, nicht allgemeingültig ist“, weiß Ji Shin, Senior Narrative Designer bei Lionbridge Games. „Solche vermeintlichen Kleinigkeiten sind echte Stolpersteine. Einige westliche Spieler lenkt es von der Story ab, weil es nicht besonders einfallsreich ist, in einer doch eigentlich fremden Welt auf Brautjungfern zu stoßen. Auf Spieler aus anderen Teilen der Welt wiederum wirkt dieser ihnen unbekannte Brauch wie der Ist-Zustand im Kontext der Geschichte, für den es jedoch keine Erklärung gibt. Als Folge fühlen sie sich verprellt und ausgegrenzt – als sei der Inhalt nicht für sie gemacht. So oder so: Das Ende vom Lied ist, die Immersion ist dahin, die Zielgruppe löst sich von Ihrer Geschichte.“
Als Mitglied des für narratives Design zuständigen Teams bei Lionbridge Games ist es Shins Aufgabe, auf solche Unstimmigkeiten hinzuweisen und zusammen mit Publishern und Entwicklern darauf zu achten, dass ihre Games auf möglichst allen Märkten zur Erfolgsgeschichte werden.